DAS VERGESSE ICH NIE!
GESCHICHTEN UND BEGEBENHEITEN

notiert November 2021


Es sind besondere Begebenheiten und Begegnungen, Alltagsbilder, freudige und bedrückende Momente, die uns ein Leben lang begleiten.


«Das hani nie vergässe!»


DER FISCH IN DER RÖHRE


«Mein Mann Köbi arbeitete bei der Stadt Biel. Eines Tages wurde er zum Blöschhaus gerufen, dort, wo der Stadtpräsident sein Büro hat. Vor dem Haus steht ein grosser bemooster Felsen im Wasser.
Alles war überschwemmt und versumpft und Köbi sollte zum Rechten schauen. Mit der Stechschaufel legte er die Röhre frei, die aus dem Teichli führte. Sofort sah er, was die Überschwemmung verursacht hatte. Ein grosser Fisch war in dieser Röhre gefangen, konnte nicht vor und zurück, wurde aber offenbar vom Teichwasser ausreichend ernährt.
Vermutlich war er als kleiner Fisch in die Röhre geschwemmt worden und schliesslich dort als Gefangener stecken geblieben.
Mein Mann hatte Mitleid mit ihm, obschon er selber ein Fischer war. Er nahm den Fisch vorsichtig in seine grossen Hände und wollte beim Rüschli die Strasse überqueren. Es war Mittag und hatte viel Verkehr.
Wie immer stand ein Verkehrspolizist auf der Kanzel in der Mitte der Kreuzung. Er sah den Mann mit dem Fisch, stoppte den Verkehr ringsum und liess den beiden den Vortritt. Köbi überquerte die Strasse und liess den Fisch vorsichtig in die Schüss gleiten.
Einen Moment lang blieb dieser unbeweglich im Wasser stehen, wie wenn er es nicht glauben könnte, dass er plötzlich unendlich viel Platz hatte. Dann aber bewegte er seine Flossen und schwamm pfeilschnell Richtung See davon.
Ich bewunderte meinen Mann für diese Tat. So war er eben.»


PFERDE FÜHREN


«Mit vierzehn ging ich regelmässig nach der Schule zu einem Bauern in der Nähe arbeiten. Ich half überall in der Landwirtschaft mit. Am liebsten war ich mit den Pferden. Diese Tiere waren mein ein und alles. Der Grossvater der Familie brachte mir alles Wichtige bei. Er schärfte mir ein, mich einem Pferd immer von vorne zu nähern und mit ihm zu reden. Schon bald durfte ich den Wagen mit zwei Pferden führen, das machte mir Spass. Meine Mutter sah es nicht so gern, weil sie sich vor Tieren fürchtete.
Einmal sah ich von drinnen, dass ein Pferd allein mit einem Wagen von der alten Schuhfabrik daherkam, kein Mensch war zu sehen. Ich rannte nach draussen, ging dann ganz ruhig von vorne auf das Tier zu, sprach mit ihm, stieg auf den Wagen und nahm das Leitseil. So konnte ich das Pferd dorthin führen, wo die Bauern die Wagen einstellten und melden, was passiert war. Am anderen Tag brachte mir ein Bauer, der Besitzer des Pferds, einen Fünfliber.
Im Winter musste ich mit zwei Pferden laufen gehen, denn bewegen mussten sie sich auch, wenn es keine Arbeit gab. Das war nicht so einfach, zwei Pferde zu halten, wenn eines zu tanzen anfing. Aber es ging immer gut. Einmal büxte irgendwo ein Rind aus. Zwei Männer rannten Stecken schwingend hinter ihm her. Ich kam zufälligerweise von der anderen Seite, ging langsam auf das Tier zu, redete mit ihm und konnte es festhalten.
Nach einem Jahr Arbeit auf dem Bauernhof spannte der Bauer im Winter die zwei Pferde vor den Schlitten und machte mit mir zum Dank eine Schlittenfahrt. Ich durfte die Pferde selber führen, das war wunderbar, wir fuhren schnell. Ein Stück ging dem Bahngeleise entlang. Der Bauer sagte mir, von hinten komme dann ein Zug, ich müsse die Tiere gut zurückhalten. Schon bald hörte ich den Zug, nahm das Leitseil fest in die Hände, die Pferde waren unruhig, aber ich konnte sie halten.
Jahre später besuchte ich den Pferdestall wieder. Er war leer und sauber geputzt. In der hinteren Scheune stand dafür ein riesiger Traktor, die Räder so hoch wie ich. Das machte mich ein bisschen wehmütig.»


DAS LACHENDE PFERD


«Im Landdienst musste ich das Pferd führen, das den Pflug zog. Ich war klein und das Pferd gross, das war schwierig für mich. Beim Gehen drückte das Pferd seine Backe an meine Hand, mir machte das Angst und ich wich ein wenig zur Seite. Dadurch wurde aber die Fuhre krumm und der Bauer, der den Pflug führte, reklamierte. Beim Wenden musste ich den Arm ganz ausstrecken, damit ich das grosse Tier richtig führen konnte. Mit der Zeit ging es besser, ich wurde etwas sicherer.
Später musste ich in den Stall, die fünf Pferde waren frei an der Tränke. Ich fürchtete mich und stand auf ein Stägli. Ein Pferd stand ein bisschen abseits und da erkannte ich es wieder. Es war das Pferd vom Pflug. Es zeigte seine Zähne und hatte das Maul ganz verzogen. Es lachte! Von da an hatte ich weniger Angst.»

ZIEGEN


«Ich half immer im Ziegenstall, vor allem wenn mein Vater im Militär war, was in der Kriegszeit häufig vorkam. Bevor ich am Morgen zur Schule ging, verabschiedete ich mich immer von unseren Ziegen. Ich umarmte und streichelte sie und sprach mit ihnen.
In der Schule hiess es dann: Ui, du stinksch! Als ich erklärte, dass ich halt zu den Ziegen schaue, sagten die anderen Kinder nichts mehr. Alle halfen daheim mit, das war ganz normal.»


RATTEN


«Im Welschlandjahr musste ich jeweils im Stall nachschauen, ob die Sau gefressen hatte. Es war finster dort und ich wusste, dass es oft Ratten hatte. Die liefen über die Rohre, mit dem Schwanz nach unten. Ich musste mit der Hand in den Schweinetrog greifen und kontrollieren, ob er leer war. Da lief etwas über meine Hand. Mich tschuderet es noch heute, wenn ich daran denke!»


MÄUSE


«Ich arbeitete auf dem Monte Generoso in einem Kiosk. Da hatte es Mäuse und die frassen immer eine Ecke an von einer ganzen Reihe Schoggistängeli, das ging so nicht weiter. Ich meldete den Schaden und bekam eine Mausefalle. Schon bald sass ein Mäuschen darin, ich konnte es nicht töten und gab es der Küchenmannschaft. Die leere Falle bekam ich zurück, sie war voller Blut. Es war mir klar, dass sie das Tier von aussen mit einem Messer getötet hatten.
Von da an brachte ich die Falle mit Maus jeweils ins nahe Wäldli und liess das Tier frei. Einmal fing ich eine herzige Haselmaus. Betrat jemand den Kiosk, stellte ich die Falle zu meinen Füssen, damit man sie nicht sah. Das Mäuschen hielt sich mit den Pfötchen an den Stäben fest und schaute zu mir auf. Schliesslich brachte ich es zum Wäldli. Aber es wollte nicht selber in die Freiheit, ich musste die Falle vorsichtig schütteln, damit es hinaus rutschte. Die Maus machte ein paar Schritte, drehte sich um und schaute mich an, dann verschwand sie. Ich glaube, sie bedankte sich bei mir.»


FREMDE TIERE 1: BÄREN


«Beim Restaurant Schlucht oberhalb der Taubenlochschlucht lebten mehrere Bären. Sie waren in einem engen Käfig angekettet und sahen den Wald und die Besucher durch Gitterstäbe an. Man sagte, dass das Restaurant auch Bärenfleisch servierte. Zuhause musste ich weinen, so traurig schien mir dieses Bärenleben zu sein.»


FREMDE TIERE 2: AFFE


«In einem Garten an der Neuenburgstrasse in Biel gab es ein Gehege mit einem Affen darin. Zu unserem Spaziergang auf dem Trottoir, entlang der schon damals viel befahrenen Strasse, gehörte es zu schauen, was das Affli machte.»


MODESCHAU


«Ich lebte mit meinen Eltern und sieben Geschwistern in Krummenau im Obertoggenburg. Mit einem gleichaltrigen Mädchen aus der Nachbarschaft war ich befreundet. Ihr grosser Bruder lebte in Zürich. Einmal luden sie mich in die Ferien nach Zürich ein.
Ich packte mein Köfferli und machte mich ganz allein auf die Reise. Da war ich etwa 12 Jahre alt. In Wattwil musste ich umsteigen und in Zürich dann den Bus nehmen zur Rotachstrasse 52. Die Familie hatte viele Freunde und Bekannte und als sie merkten, dass ich so wenig anzuziehen hatte, wurde ich reich beschenkt mit schönen Kleidern. Mein zuvor kaum gefülltes Köfferli war plötzlich ganz voll.
Als ich wieder daheim ankam, wollte ich meinen neuen Schatz präsentieren, aber wir wohnten etwas abgelegen vom Dorf. Also zog ich mich extra schön an - ich glaube es waren ein burgunderrotes Faltenjupe und eine weisse Bluse - und ging zum Bahnhof. Dort gab es immer jemanden, der mich sehen konnte. Ich stolzierte auf und ab. Meine grossen Brüder zählten mich ganz schön aus, als sie es erfuhren. Aber das machte mir nichts aus.»

ZEITUNGEN VERTRAGEN 1


«Nach der Schule vertrug ich täglich den Express, eine Bieler Tageszeitung. Mein Quartier waren die Strassen um die Schiffländte. Einmal im Monat musste ich das Geld für die Zeitung einkassieren. Das war nicht einfach, weil nicht alle Leute daheim waren und ich dann zwei-, dreimal vorbeigehen musste. Manchmal gab es ein bisschen Trinkgeld, zehn oder zwanzig Rappen.
Beim Uhrenfabrikanten Mäder gab mir die liebe Köchin immer an Weihnachten einen grossen Zopf mit für die Familie. Das war ein Genuss! Es gab auch das La Tour, ein kleines Arbeiterbeizli. Wenn ich dort einkassierte, sagte die Chefin, warte, ich habe etwas für dich. Ich freute mich schon, da brachte sie mir eine geschwellte Kartoffel! Lange Zeit hatte ich die Geschwellten nicht mehr gern.
Ich brachte den Express auch in die Villa von Frau Weidauer an der Badhausstrasse, sie war die bekannte Chilbi-Schaustellerin.
Im Herbst und im Winter, wenn es früh dunkel wurde, war das Vertragen ein bisschen unheimlich.
Einmal begleitete mich meine jüngere Schwester. Wir waren grad bei der Schiffländte, als ein Mann auf uns zukam, mich packte und in den See werfen wollte. Ich verstand gar nicht, was da passierte. Meine kleine Schwester aber schrie ganz laut. Da liess mich der Mann los. Ich glaube, meine Schwester hat mir das Leben gerettet. Wir rannten zu Herrn Dürig, der ganz in der Nähe ein Fabrikli für Cadrans (Uhrenrahmen) hatte, und berichteten ihm, was passiert war. Er alarmierte die Polizei. Der Mann war aber mit dem Velo unterwegs gewesen und unterdessen schon ganz woanders.
Die Familie Dürig hatte ein Haus auf der Insel und war am Wochenende oft dort. Ihre Kinder sagten uns, wir dürften am Sonntag ihre Velos in ihrem Garten holen und benützen. Wir sollten sie nachher einfach genau so wieder hinstellen, wie sie vorher dastanden, damit niemand etwas merkte.»


ZEITUNGEN VERTRAGEN 2


«Ich vertrug einmal in der Woche Heftli: Das gelbe Heft, die Schweizer Illustrierte und Leben und Glauben. Mit einem Heft zusammen konnte man eine Versicherung lösen. 40 Rappen kostete nur das Heft, 60 oder 70 Rappen kostete es mit der Unfallversicherung. Dieses Geld musste ich einkassieren und mehrmals vorbei gehen, wenn niemand da war. Ab und zu gab es ein bisschen Trinkgeld. Zuhause rechnete ich genau ab. Dann gab ich das Geld meinem Vater, der es dem Verlag weiterleitete. Er war es auch, der diese Arbeit für mich eingefädelt hatte.»


SCHWIMMEN


«Obschon ich in Brügg aufgewachsen bin und die Aare immer gesehen habe, lernte ich nicht schwimmen. Meine Eltern hatten Angst davor.
Damals ertranken viele Leute, auch immer wieder Kinder in der Aare. Es hatte grosse Steinbrocken auf dem Grund und die verursachten heimtückische Wirbel, die die Schwimmenden herunterziehen konnten. Später wurde die Aare ausgebaggert, dann war es weniger gefährlich.»


RABATTMARKEN


«In verschiedenen Geschäften des täglichen Bedarfs gab es Rabattmarken. Wir kauften viel bei der Familie Bichsel ein, die ein Lebensmittelgeschäft an der Ländtestrasse in Biel hatte. Für jeden Einkauf erhielten wir ab einer bestimmten Summe Rabattmarken und klebten sie ins Rabattheft. War es gefüllt, erhielten wir dafür zehn Franken. Einer Verwandten, die ihr Heft nie ganz füllen konnte, schenkten wir ab und zu ein paar Märkli, damit auch sie ein volles Heft vorweisen konnte.»


KÄSEMARKEN


«Meine Grossmutter hatte ein Käsegeschäft. Im Krieg gabs den Käse nur gegen Märggli, die Rationierungsmarken. Jedes Geschäft musste belegen, wieviel es verkaufte und deshalb die erhaltenen Marken abgeben. Ich klebte die Marken jeweils auf grosse Bögen. Meine Grossmutter schnitt den Käse zu grosszügig ab, sie sagte, die Leute wollen Käse, nicht Rinde. Deshalb fehlten ihr aber am Ende Marken, weil sie nicht belegen konnte, wohin ein Teil des Käses verschwunden war. Sie bekam Schwierigkeiten mit der Behörde. Das fand ich ungerecht.»
RADIO
«In mein Haus kommt kein Radio, meinte mein Vater, als er von dem neuen Gerät hörte. Als dann aber mein grosser Bruder ein Radio heimbrachte und installierte, hockte sich mein Vater davor, suchte den Nachrichtensender und verscheuchte uns, wenn wir lärmten.
Schsch, seid still, ich will etwas hören!»


BARRIEREN


«Meine Eltern amteten nebenbei als Barrierenwärter beim Bahnübergang Tessenbergstrasse in Vingelz. Wenn mein Vater arbeitete, bediente meine Mutter die Barriere. Mit einer schweren Kurbel musste sie die Barriere pünktlich senken und wieder heben.»


KOSTBARER STAUB


«Nach der Schulzeit arbeitete ich bei einem Arzt im Haushalt. Einmal erwartete er Besuch, holte im Keller eine Flasche Wein und stellte sie auf den Tisch. Ich sah die staubige Flasche auf dem schön gedeckten Tisch stehen. Pflichtbewusst reinigte ich sie gründlich und stellte sie zurück. Als der Arzt die Flasche sah, rief er:
Wele Tubel hät die Fläsche putzt?
Erschrocken streckte ich den Finger ein bisschen in die Höhe. Der Arzt sah mich an und fragte: Was habt ihr zu Hause im Keller? Ich antwortete wahrheitsgemäss: Öpfel, Rüebli, Härdöpfel. Er spürte, dass ich in bester Absicht gehandelt hatte und wirklich keine Ahnung hatte. Später zeigte er mir den Weinkeller, erklärte alles und gab mir eine Flasche Wein für meinen Vater mit heim.»


KAFFEE


«Während des Krieges war Kaffee rationiert, er wurde aus den Vorräten der Schweiz verkauft, denn aus dem Ausland gab es keine Importe. Wir streckten den Kaffee mit Franck Aroma und gaben noch ein «Stifeli» bei. Das war ein Pulver in einem länglichen Päckchen, es färbte den Kaffee dunkel.
Wir gaben das gemischte Pulver in eine Kanne, überbrühten es dreimal mit Wasser, warteten einen Moment und gossen den Kaffee durch ein Sieb in die Tassen.»


SUPPEN


«Haferflöcklisuppe, Griesssuppe, Lauch-Kartoffelsuppe, Zwiebelsuppe…. Suppe gab es immer.
Wenn es pressierte, gab es auch mal eine Suppenwurst. Das war ein Pulver, das in Blöckli gepresst in Wurstform verpackt war. Wir brachen ein Blöckli ab, zerdrückten es und kochten es im Wasser. Zum Beispiel Erbs mit Speck oder Erbs mit Sago.
Es gab auch kleine Bouillonwürfeli, die eine schnelle Suppe möglich machten. Aber besser war immer noch die Fleischsuppe am Sonntag, in der das Suppenfleisch stundenlang gekocht hatte.»


MIT DAMPF


«Wir kochten solche Gerichte mit dem Flexil, dem Dampfkochtopf. Das ging viel schneller.»

HEILKRÄUTER


«Meine Mutter kannte sich mit Kräutern und Naturmedizin gut aus. Sie sammelte vielerlei Kräuter in einem alten Korb, trocknete sie und machte Teemischungen daraus. Sie kannte eine Frau im Dorf, die ständig Kopfschmerzen hatte und deshalb immer Tabletten schluckte. Das fand meine Mutter nicht gut, sie mochte die Frau und wollte ihr helfen. Beim Drogisten liess sie Tabletten ohne Wirkstoff herstellen und brachte sie dieser Frau, erklärte ihr genau, wie sie die Medizin einnehmen musste und wie sie wirkte. Die Kopfschmerzen verschwanden, die Frau war begeistert.»


LEHRABSCHLUSSPRÜFUNG


«An der Lehrabschlussprüfung als Verkäuferin machte ich einen grossen Fehler. Ich hatte die Aufgabe, aus dem Konsumsortiment zusammenzustellen, was eine Familie in einer Alphütte für ein paar Tage brauchen würde. Ich machte das sorgfältig und legte sogar Wolle und Stricknadeln dazu, damit es am Abend auf der Alp etwas zu tun gab. Aber das Salz vergass ich.
Als ich es leider zu spät bemerkte, war ich sicher, dass ich deshalb durchfallen würde. Aber niemandem fiel das fehlende Salz auf. Ich bestand die Prüfung.
Mit dieser Geschichte machte ich später, als ich selber Lehrlinge ausbildete, einem verängstigten jungen Mann Mut, der sich vor der Prüfung fürchtete. Meine Geschichte beruhigte ihn und er kam gut durch die Prüfung.»


VELO FLICKEN


«Ich wollte mit dem Velo meine Grossmutter in Amriswil besuchen. Das waren von meinem Wohnort Frauenfeld mehr als 30 Kilometer. Mein Vater fragte mich: Was machst du, wenn dein Velo einen platten Reifen hat? Auf den Strassen damals gab es immer wieder Nägel und es waren auch bei weitem nicht alle Strassen geteert. Nun, ich frage jemanden… ich wusste keine rechte Antwort und er meinte, es gebe nicht überall eine Möglichkeit, einen Veloreifen zu flicken. Das müsse ich selber können.
Also brachte er mir das Flicken bei: Das Rad abnehmen, den Schlauch herausdrücken, das Loch suchen, den Pneu aufrauhen, die Gummilösung verstreichen, den Flicken aufkleben, den Schlauch wieder in den Mantel stecken und das Rad montieren. Als ich es beherrschte, liess er mich zur Grossmutter fahren. Sie führte eine Molkerei und hatte viel zu tun. Ich sah, dass ihr Garten voller Unkraut war. Ohne etwas zu sagen, verschwand ich in den Garten und machte mich an die Arbeit. Niemand merkte, dass ich im Garten war, weil alle viel zu tun hatten. Ich jätete bis zum Abend. Ich machte das gern für meine Grossmutter und arbeitete auch gern mit den Händen. Der Garten wurde schön, meine Grossmutter freute sich. Jetzt hatte ich noch den langen Heimweg vor mir, ich war müde von der Gartenarbeit.
Da entdeckte meine Tante, die zwei Häuser weiter oben wohnte, den sauberen Garten. Mein Onkel lud daraufhin kurzerhand mein Velo in sein Auto und fuhr mich heim. Das war eine schöne Fahrt dem Untersee entlang. Autofahren war damals etwas ganz Besonderes und ich habe es sehr genossen.»


KATHOLISCH ODER REFORMIERT


«Meine Grossmutter sagte zu mir: Wenn du katholisch wärst, hätte ich dich noch viel lieber. Das konnte ich nicht verstehen. Ich wollte weder das eine noch das andere. Meine Mutter, die Reformierte, hatte meinen katholischen Vater geheiratet. Trotzdem stichelte sie manchmal: Die Katholiken mit ihrer Beichte, die haben es einfach.»