LEBEN MIT DER RATIONIERUNG

notiert Mai 2019


Während und einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren Lebensmittel und praktisch alle Dinge des täglichen Gebrauchs nur gegen knapp bemessene Rationierungsmarken erhältlich. Alle Menschen mussten sich einschränken, für alle galten die gleichen Rechte. Fantasie war gefragt. Und manchmal auch ein bisschen Mischeln und Händelen.


«Me het haut gmacht was me het chönne. Wenn öpper e gueti Idee het gha, isch das schnäu umegange.»


COUPONS


Im August 1939, zu Beginn des 2. Weltkriegs, begann in der Schweiz die Rationierung. Jede Gemeinde gab für jede Einwohnerin, jeden Einwohner perforierte Bogen mit Rationierungsmarken ab. Diese Coupons galten vorerst für Zucker, Fett, Öl, Hülsenfrüchte und Mehl. Die Einwohnerinnen und Einwohner wurden dem Alphabet nach zu einer bestimmten Zeit aufgefordert, ihre Coupons auf der Gemeindeschreiberei abzuholen.
Die rationierten Lebensmittel erhielt man nur, wenn man die entsprechenden Coupons dafür abgab. Es galt: Coupons vor Geld! Jeden Monat wechselte die Farbe der Coupons, so dass man sie nicht hamstern konnte. Nur in den ersten Tagen des nächsten Monats waren die alten noch gültig.


Im Verlauf des Krieges wurde immer mehr rationiert, nicht nur Lebensmittel, sondern auch Schuhe, Kleider, Wolle, Stoff, Seife, Kohle, Benzin. Es muss für die Behörden ein unerhörter Aufwand gewesen sein, diese Rationierung bis ins letzte Detail zu planen und zu organisieren. Es konnte vorkommen, dass jemand nur ein halbes Ei zugute hatte und erst im Folgemonat ein ganzes bekam.


Die Behörden handelten schnell und die Menschen vertrauten ihnen. Sie holten ihre Coupons ab und richteten sich damit ein. So viel anders als vorher war es ja auch nicht. Sie hatten noch nie viel besessen. Die meisten in und um Brügg hatten ihre Gärten beim Haus und den Pflanzblätz im Moos. Auch viele Städter hatten Gärten. Das war etwas wert. So gab es während mehrerer Monate frisches Gemüse.


Für den Winter sorgte man vor. Chabis wurde zu Sauerkraut verarbeitet, Rüben zu Sauerrüben, Rüebli, Kartoffeln, Äpfel und Birnen wurden eingekellert. Bohnen brühte man, zog sie auf lange Fäden und liess sie an der Luft trocknen. Manchmal machte man sie auch sauer ein, allerdings misslang das ab und zu und sie wurden ungeniessbar.


Wer selber Gemüse ernten konnte, bekam trotzdem die ganze Anzahl Coupons, im Gegensatz zu Bauern, die für das, was sie produzierten, keine Marken erhielten. Viel Arbeit gab die Einführung der Rationierungsmarken in den Läden.


«Am Anfang der Rationierung waren alle Läden während dreier Tage geschlossen, die Angestellten mussten eine genaue Inventur machen. Es gab gar nichts zu kaufen.»


«Beim Verkaufen sortierten wir die Coupons in eine Schachtel mit Ghältli (Fächer). Jeden Mittwochnachmittag, wenn der Laden geschlossen war und wir frei gehabt hätten, mussten wir antraben und die Märkli aufkleben, immer die gleichen auf einzelne Bogen. Das dauerte zwei oder drei Stunden. Man musste schnell arbeiten, weil sonst der Kleister eintrocknete. Wir haben uns nicht gewehrt. Das musste man einfach machen.
Zur Belohnung machten wir uns einen Tee und assen einen Nussgipfel, den wir im Laden gekauft hatten. Die gefüllten und angefangenen Bogen gaben wir Ende Monat ins Büro. Der Laden erhielt dann so viele Lebensmittel zum Verkauf, wie auf den Bogen ausgewiesen waren. Auch nicht ganz gefüllte Bogen musste man abgeben, weil die Marken im nächsten Monat eine andere Farbe hatten.»


Einfach war es nicht für die Verkäuferinnen, sie hatten manchmal die Launen der Kundinnen zu ertragen und durften wirklich nur Waren verkaufen, wenn dazu die Coupons abgegeben wurden.


«Ich wohnte in Bellmund, wurde aber im Konsum von Leubringen eingesetzt und später an der Dufourstrasse in Biel. Das machte man, damit die Verkäuferinnen niemanden bevorzugten, den sie kannten. Manchmal bettelten die Leute um Lebensmittel, hatten aber keine Coupons. Dann waren wir «der bös Cheib». Die Leute waren hässig. Sie taten mir leid. Aber ich konnte nichts tun.»


«Als ich noch Lehrtochter im Konsum in Brügg war, kam eine Frau und verlangte 100g Butter. Ich fragte nach den Coupons. Sie sagte nur, «holet jetz der Anke», immer wieder, bis ich die Butter holte. Als ich die Märkli verlangte, behauptete sie, sie habe sie mir schon gegeben. Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte und litt darunter, auch wenn dann nichts passierte.»


Es gab zum Glück auch andere Kundinnen und Kunden.


«Manchmal kamen Leute zum Einkaufen, die einzelne Marken nicht brauchten und sie uns gaben. Kam jemand, von dem wir wussten, dass er es nötig hatte, gaben wir dieser Person die Marken. Wir bewahrten sie in einem separaten Schälchen auf.»


Für Schwerarbeiter, zum Beispiel in der Giesserei, für Schwangere, kleine Kinder, Jugendliche im Wachstum oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen gab es Extra-Coupons.


«Weil ich in der Sek so dünn war, bekam ich ein Arztzeugnis und damit Zusatzmarken für Butter.»


Aber es wurde streng kontrolliert und genau unterschieden, wer berechtigt war, mehr zu erhalten.


«Mein Vater und wir Kinder erhielten mehr Milchcoupons, aber das Mueti nicht. Das machte mich traurig, Mueti hat so viel gearbeitet im Moos und daheim und bekam nicht mehr.»


Vieles durfte man nur in ganz kleinen Mengen beziehen, manchmal nur 50g Zucker oder gleichviel Schokolade pro Monat. Es gab auch Marken für Confiserie-Waren, Schoggiköpfe, Schoggibananen, «Müsli» mit der rosa, gelben oder grünen Cremefüllung. Immer nur wenig aufs Mal.


«Man war sich Süsses nicht gewöhnt.»


«Im Haushaltlehrjahr merkte meine Madame Ende Jahr, dass sie mir meine 50 Gramm Schoggi pro Monat nicht gegeben hatte, immerhin 600 Gramm für 12 Monate! Das war ihr nicht recht. Aber da konnte man nichts mehr machen.»


Hunger leiden musste man in den Kriegsjahren in der Schweiz nicht, aber man musste genau einteilen und äusserst sparsam haushalten. Die Väter brachten nur den Soldatensold aus dem Aktivdienst nach Hause, das war nicht viel Geld. Grosse Bürden lasteten auf den Frauen. Sie schauten allein zu den Kindern, zum Garten, dem Pflanzblätz, der Wohnung oder dem ganzen Bauernbetrieb.


Private Autos gab es kaum während des Krieges. Auch Benzin war rationiert und Private erhielten meistens gar keines. Man hatte Holzvergaser, die vor der Fahrt jeweils erst eingefeuert werden mussten.


MISCHELN


Coupons durften nicht getauscht oder verkauft werden. Gemacht wurde es trotzdem, obschon ein Vergehen streng bestraft wurde. Städter kamen gerne aufs Land, jeder kannte einen Bauern, der ihm etwas verkaufte, Eier, Würste oder Butter. Bauern durften einen Teil ihrer Erträge behalten und nicht alles konnte bis ins letzte Detail kontrolliert werden. Diese schwarz gekauften Waren musste man gut verstecken, die Polizei war wachsam. Nicht nur die Einkaufenden, sondern auch der Bauer wurde gebüsst.


«Ins Emmental kamen oft Basler in die Ferien. Sie kehrten mit vollen Taschen heim, mit Speck, Eiern und Butter.»


«Es gab immer wieder Leute, die im Moos Gemüse stahlen. Deshalb wurden Flurwachen eingesetzt. Das waren nicht dienstfähige Männer, die mit Armbinde und einem Gewehr mit Platzpatronen im Dorf und im Moos patrouillierten. Sie nahmen ihre Aufgabe ernst und waren stolz darauf.»


In der deutschen Schweiz hielt man sich recht brav an die Vorschriften. Tessiner und Welsche nahmen es ein bisschen lockerer. Es wurde viel gehändelet und gemischelt.
In den Haushaltlehrjahren sahen die jungen Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz mit Erstaunen, dass es Weissbrot gab und Öl zum Frittieren. Es wurde auch mit den begehrten Brotmarken gehandelt. Dafür reichten dann die Marken öfters nicht bis zum Ende des Monats und es gab Suppe anstatt Brot zum Frühstück.


«Die het nid häregha!»


KOSTBARES BROT


Brot war immer knapp.


«An meiner Haushaltstelle im Tessin hatte ich immer Hunger. Ich war jung und arbeitete den ganzen Tag und es gab wenig zu essen. Wenn ich für die Familie mit Marken Brot kaufen musste, schenkten sie mir in der Bäckerei manchmal ein Mütschli, weil sie merkten, dass ich Hunger hatte. Ich hätte auch mit Geld nichts kaufen können ohne eigene Marken.»


Damit die Menschen weniger Brot assen, durfte es nicht frisch verkauft werden. Zuerst gab es nur eintägiges, später nur noch zweitägiges Brot. Dafür verantwortlich waren die Bäcker, sie mussten belegen, wieviel sie gebacken hatten und das Brot geordnet nach Backtag in besonderen Gestellen lagern. Es gab strenge Kontrollen.
Das normale Brot war immer dunkel. Es wurde als Pfünder, Zweipfünder oder Vierpfünder verkauft. Weissbrot erhielt man nur auf ärztliche Verordnung.


«Es gab auch ein Sonntagsbrot, das war heller als das Alltagsbrot und hatte ein S für Sonntag hineingestempelt. Einer der drei Brügger Bäcker spannte am Samstag den Bernhardiner vor ein Wägeli und fuhr damit dieses feine Sonntagsbrot aus, das in einem Kasten mit Deckel lag. Einmal wurde der Bernhardiner von einem anderen Hund angegriffen. Er konnte sich nicht wehren in seinem Geschirr. Da kam zum Glück Herr Grossenbacher und schüttete einen Kübel Wasser über die Hunde. Da hörten sie sofort auf zu balgen.»


«Die Obrecht-Züpfe war aus dunklem Mehl. Bundesrat Obrecht, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, zuständig für die Rationierung, hatte sie angeordnet.»


Brot wurde nie fortgeworfen. Wenn es überhaupt übrig blieb und hart wurde, gab es Brotsuppe, in Bouillon gekochtes und verrührtes Brot oder es wurden kleine Brotstückli als Suppeneinlage geröstet. Die gaben der blassen Suppe etwas Farbe.


«Als ich einmal Brot kaufen sollte, gab es keines mehr in der Bäckerei. Ich weinte, weil mir die Mutter doch aufgetragen hatte, ein Brot heimzubringen. Was sollte ich jetzt tun? Da hatte die Bäckerin Mitleid und gab mir verbotenerweise ein frisches Brot. Aber sie trug mir auf, niemandem etwas zu sagen, denn sie wäre gebüsst worden.»


«Mein Haushaltlehrjahr verbrachte ich in einer Bäckerei/Konditorei mit einem angeschlossenen Kolonialwarengeschäft. Damals lagerten die Bauern das Mehl, welches sie von der Mühle heimbrachten, immer lange in ihrem Estrich, bevor sie es dem Bäcker brachten, weil sie auf einen besseren Preis hofften. Meistens hatte es deshalb Würmer darin und musste gesiebt werden. Das war mühsam und verleidete dem Oberbeck. Er beschloss, Brot mit Würmern zu backen. Die Frauen kauften das Brot und kamen anderntags empört zurück! Brot mit Würmern! Ich wurde in den Laden geschickt und musste erklären, dass das halt passieren könne, wenn es immer Würmer im Mehl habe. Von da an haben die Bauern ihr Mehl nach dem Mahlen sofort gebracht!»


KARTOFFELN KARTOFFELN KARTOFFELN


Kartoffeln waren nicht rationiert und bei den Bauern im freien Verkauf. Sie halfen manchem, den Hunger zu stillen, wenn nichts anderes vorhanden war.


«Wir assen sehr oft Härdöpfel. Gekocht, gebraten, Rösti, Gschwellti, Auflauf und auch Stock. Mit Wasser war er aber nicht so gut. Da gehört schon Mich und Anke hinein und davon hatten wir nicht genug.»


«Es gab oft Rösti zum Zmorgen, das Brot hätte für hungrige Esser nicht gereicht.»


«Wir hatten oft Saucenhärdöpfel und gebratene Cervelatstückli mit ein bisschen Bouillon.»


Die Bäcker wurden angewiesen, den Brotteig mit Kartoffeln zu strecken. Im Sommer zog das Brot Fäden, wenn die Kartoffeln gärten. War es sehr heiss, liessen die Bäcker die Kartoffeln wieder weg.


«Das war eklig. Im Konsum mussten wir das Brotgestell täglich abschrubben, gut nachwaschen und an die Sonne stellen, damit es wirklich sauber wurde.»


Gemäss dem Plan von Bundesrat Wahlen wurde auch in den Dörfern der Boden umgegraben und es wuchsen Kartoffeln, zum Beispiel beim Schulhaus. Rasenflächen waren nicht mehr erlaubt. Schulkinder halfen mit bei der Ernte.


«Wir halfen mit der Schule den Bauern auf den Kartoffelfeldern. Wir gingen durch die Reihen und lasen die Colorado-Käfer ab, die Kartoffelkäfer, weil sie das Kartoffellaub abfrassen. Die Menge der zu sammelnden Käfer war vorgeschrieben und wurde in Litergefässen gemessen. Die Käfer wurden wie Maienkäfer zu Tierfutter verarbeitet. Im Schweinefutter, das wir im Konsum verkauften, sah man manchmal Beine oder Fühler und es stank.»


«Am Morgen früh gingen wir Maienkäfer schütteln. Wir sammelten sie in Spritzkannen, da konnten sie nicht mehr hinauskrabbeln. Manchmal verfingen sie sich in unseren Haaren, das war eklig. Es war vorgeschrieben, wieviel man sammeln musste. Ein Bauer hat mal Maikäfer bei der Sammelstelle gestohlen, um sie noch einmal zu bringen, damit er weniger sammeln musste. Er wurde aber erwischt.»


FLEISCH


Wer es irgendwie einrichten konnte, hielt ein Schwein, um der Rationierung zu entgehen. Allerdings musste Tierhaltung gemeldet werden und die Fleischmarken wurden vor der Abgabe aus den Bogen herausgeschnitten.
Auch die Bauern wurden genau kontrolliert. Sie mussten die Anzahl ihrer Tiere melden und ebenfalls, wenn eines geschlachtet wurde. So wollte man den Schwarzhandel unterbinden.


«Unser Schwein gab Fleisch für ein halbes Jahr. Wir hatten im Keller eine Röiki, dort räucherten wir das Fleisch. Ich war froh, als wir das Söili endlich gegessen hatten, der ewige Speck war mir verleidet, das war nicht lustig. Weil wir wegen dem Schwein keine Fleischmarken bekamen, hätten wir gar kein anderes Fleisch kaufen können.»


«Zum Räuchern wurde das Fleisch zuerst in Salzwasser mit ein bisschen Zucker eingelegt und dann draussen getrocknet. Man musste gut aufpassen, dass keine Fliegen kamen und ihre Eier ablegten. Der Vater zündete im Räucherofen ein Feuer an und gab dann Sägemehl auf die Glut. Darüber wurde das Fleisch geräuchert, Bratwürste, Stücke vom Hals und Schinken. Am besten war die Hamme. Manchmal sterilisierten wir das Fleisch auch, aber das war sehr heikel.»


Wurst und Fleisch waren bei der Rationierung nicht gleich eingestuft. Fleisch brauchte mehr Marken als Wurst.
Man ass vor allem Schweinefleisch. Wenn ein Tier getötet werden musste, machte das schnell die Runde. «Dort wird Fleisch ausgewogen», hiess es. Auf einer Waage mit angehängten Gewichten wurde das Fleisch abgewogen und ohne Marken billiger verkauft. Es trug den violetten Stempel des Tierarztes, der es kontrolliert und freigegeben hatte. Im Sommer musste das Fleisch schnell weg, weil man es nicht kühlen konnte. Im Frühling gab es mehr solches Fleisch, weil die Kühe vom frischen Gras gebläht wurden und manchmal abgetan werden mussten.


«Am Sonntag roch das Dorf nach Schweinebraten. Das normale Sonntagsessen war Braten mit Stock. Oder auch mal ein rechtes Stück Suppenfleisch, das man in der folgenden Woche weiter ass. Kalbfleisch war ganz selten und teuer. Eigentlich liess man die Tiere wachsen, bis sie gross waren und etwas hergaben.»


Geflügelzuchten waren unbekannt. Es gab hin und wieder ein altes Suppenhuhn oder einen Hahn, der überzählig war. Suppenhuhn kochte man in weisser Sauce oder zerzupfte es im Risotto.


«Einmal blutete ein Huhn am Kopf, es hatte sich verletzt. Da gingen alle andern Hühner auf dieses arme Tier los und versuchten, ihm in die Augen zu picken. Wir mussten es töten. Ich träumte noch lange davon.»


Ab 1941 wurden der Bevölkerung zwei fleischlose Tage verordnet, die Metzgereien waren an diesen Tagen geschlossen. Viel änderte das nicht, jedenfalls auf dem Land. Man ass seit jeher am Freitag Kuchen und Suppe und auch sonst kaum Fleisch, ausser am Sonntag.


Viele Leute, vor allem auch Kinder, hielten Kaninchen. Gegen einen feinen Chüngel mit Stock hatte niemand etwas einzuwenden, ausser vielleicht das Kind, das ihn aufgezogen hatte. Die Kinder holten Löwenzahn und Gras für ihre Tiere, lasen Ähren auf, durften ihnen auch Körner, Hafer oder ein bisschen hartes Brot geben.


«Ich hielt selber Chüngel, deren Fell ich dem Grämpler verkaufte. Er handelte mit Kleintieren und allerlei Zeug, Grämpel eben. Am Markttag stand ich um sechs Uhr an der Strasse, der Grämpler kam auf dem Weg zum Markt in Burgdorf vorbei und gab mir 10 oder 20 Rappen pro Fell. Zuvor hatten wir die Felle nach dem Abziehen auf extra zugeschnittene Ladli gespannt und aufgehängt getrocknet. So verdiente ich mein erstes Geld.»


«Ab und zu stibitzte ich eine Handvoll Greubi und ass es mit Salz. Das war gut! Für Greubi liessen wir den Halsspeck unseres Schweins aus, der war nicht beliebt zum Essen. Aber als Greubi wurde er schön knusprig.»


«Es gab Grick, das war ein Gemisch aus Lunge, Herz und Nieren, geschwellt in einer weissen Sauce. Oder Zunge in weisser Sauce und Kutteln mit Tomatensauce und Kümmel.»


SUPPEN UND ANDERES NAHRHAFTES


Man ass, was Garten und Pflanzblätz hergaben. Suppe gab es oft. Sie war billig und sättigte. Hinein kamen Karotten, Spinat, Kohl, Erbsen, Lauch, Kartoffeln, einfach alles Gemüse, das man grad hatte und Hafer, geröstetes Mehl, Gerste, Teigwaren, manchmal auch eine Wurst.


Man verwendete auch Maggiwürfel und Knorrsuppenwürste. Eine gängige Zutat war Sago (Stärke aus der Sagopalme). Es war offen im Laden zu kaufen und reicherte die Suppe an. Es steckte auch in der Suppenwurst «Erbs mit Sago». Diese war in festes Papier verpackt, sah aus wie eine Wurst, war innendrin in Portionen aufgeteilt und musste zerdrückt werden. Dabei rieselte ein trockenes Pulver heraus, das mit Wasser gekocht wurde. Mit den kleinen Bouillonwürfeln, die stangenweise in einem Cellophan oder in einer Büchse verkauft wurden, kochte man Bouillon mit Gemüse, mit Ribeli (kleinen Teigwarenkugeln) oder gerösteten Brotstücklein.


«Ich musste immer einen Teller voller Gerstensuppe essen, dann hatte ich nachher keinen Appetit mehr. Ich hab sie heute noch nicht gern.»


Zur Freude der Kinder gab es den Knorrli zum Spielen, wenn man genügend Erbssuppe ass.


«Ich hatte ein Holzhäuschen zum Ineinanderstecken von Maggi, damit spielte ich gerne.»


Oft standen auch Gerichte mit Haferflocken, Griess, Gerste oder manchmal Reis auf dem Tisch. Teigwaren ass man weniger, am ehesten Hörnli. Es gab damals zum Beispiel die Schweizer Marken Ernst, Bschüssig und Dalang. Auch Kuchen wurde immer wieder gegessen, zuerst gabs aber Suppe, um den gröbsten Hunger zu stillen.


«Feinen Käsekuchen gabs, Vati erhielt einen grossen Bitz, die Kinder einen kleinen. Dazu machte Mueti noch Kuchen mit Früchten aus dem Garten.»


Für den Schoppen wurde Hafer- und Gerstenmehl mit Milch und Zucker gekocht.


SICH ZU HELFEN WISSEN


«Man versuchte halt einfach alles, was man konnte. Hatte jemand eine gute Idee, ging das schnell herum.»


«Mutter und ich schauten die Märggli durch und überlegten, was wir kaufen konnten. Man musste gut einteilen, sonst hatte man Ende Monat zum Beispiel keine Milch. Auch Butter war knapp. Mutter liess Schmär aus: sie erhitzte Schweinefett, das sie mit Fleischmärggli kaufte und sammelte das flüssige Fett in einem Tontopf. Damit brieten wir dann die Härdöpfel, das machten wir nach dem Krieg weiterhin. Auch Greubi machte sie. Die hatte ich gern.»


Kaffee war rationiert und teuer. Aber man wusste sich zu helfen.


«Franck Aroma im gestreiften Beutel war billig und man brauchte keine Marken dafür. Es wurde aus gerösteter Zichorienwurzel gemacht und war bitter. Wir mischten Kaffee, Franck Aroma und ein Stifeli, ein dunkles Farbpulver in einem schmalen Säckli, in einer grossen Schüssel zusammen und bewahrten diesen Kaffee in einer Blechbüchse auf.»


«Wir sammelten den Kaffeesatz und brachten ihn jemandem, der Seife daraus machte.»


«Wir gingen auf abgeernteten Feldern Ähren lesen, machten daraus Bündeli und brachten sie mit dem Velo nach Lyss zur Mühle. Dafür erhielten wir Mehl.»


«Wollte man Kuchen backen, musste man sich halt gut überlegen wie. Entweder man sparte die Zutaten oder tauschte Marken oder fand sonst einen Weg.»


«Mit Eipulver zum Anrühren liess sich auch backen oder Omeletten anrühren.»


«Wir machten Confi mit wenig Zucker. Aber die graute dann schnell. Mit einer Schicht Schnaps obendrüber hielt sie länger.»


«Wir nahmen von der Milch, die in einem grossen Becken war, jeden Abend den Rahm ab. Am Samstag musste ich den gesammelten Rahm zu Butter schlagen. Das dauerte!»


«Magerer Käse brauchte weniger Marken als fetter. Den hatte ich gern. Beim Verkaufen im Konsum schnitt ich ihn jeweils mit ganzer Körperkraft von gerade oben nach unten, weil er so hart war. Wir mussten ganz exakt schneiden, ganz süferli, damit wir ja nicht zu viel abschnitten. Es hiess nie: Darfs ein bisschen mehr sein? Was zu viel war, mussten wir wieder wegnehmen und dann als geriebenen Käse verkaufen.»