ERZIEHUNG IN DEN DREISSIGERN
notiert April 2021
Kinder wurden weniger gehört und nahmen weniger Platz ein als heute. Etwas hat sich ihnen eingeprägt:
«MIR SI NIE GRÜEHMT WORDE!»
DIE MUTTER
Mütter waren das Zentrum der Familie. Den Kindern schien es selbstverständlich, dass die Mutter einfach da war. Selten mal wurden sie bei einer Nachbarin untergebracht, wenn es die Umstände erforderten. Ältere Geschwister schauten selbstverständlich zu den kleineren.
«Zum Mueti konnte ich mit allen Anliegen gehen. Es war immer für mich da. In Freud und Leid. Es hörte mir zu. Nur wenn die Zeitung kam und mit ihr der neue Teil des darin abgedruckten Romans, wollte es lesen. Wir wussten das genau, zupften es aber dann doch am Arm. Da wurde es manchmal ein bisschen hässig.»
«Die Mutter hatte alles im Griff.»
«Meine Mutter war lieb, von ihr kam die Wärme. Der Vater war streng, er brachte das Geld heim. Sie harmonierten gut.»
«Meine Mutter war sehr streng, sie steuerte alles. Eigentlich übernahm sie fast die Rolle des Vaters, wie ich es in anderen Familien kannte.»
«Die Mutter war ganz wichtig.»
«Wir waren acht Kinder und wohnten nahe der Grenze im Kanton St.Gallen. Während des Krieges dröhnten oft die Bomber Richtung Deutschland. Manchmal flogen irgendwelche brennbaren Stücke herunter. Meine Mutter hatte immer Angst, dass eines davon unser Schindeldach treffen würde. Das wäre sofort in Flammen aufgegangen. Was wäre dann gewesen mit acht Kindern? Aber wir hatten Glück.»
«Ich konnte immer mit allem zu meiner Mutter gehen. Sie schaute gut zu uns!»
«Manchmal fand ich, meine Mutter könnte ein bisschen mehr zu mir schauen. Sie war während des Krieges von der Gemeinde für mehrere Familien eingeteilt, um bei Schwierigkeiten zu helfen, zum Beispiel mit Schriftlichem oder für die Pflege.»
«Wir lebten im Oberland. Meine Mutter schnitzte in Heimarbeit. Schon ihre Mutter hatte das gemacht und hatte sie angelernt. Sie schnitzte Namen in Gegenstände, zum Beispiel Ortsnamen in Souvenir-Chalets, die vor dem Krieg mit einem Geldschlitz als Kässeli verkauft wurden. Mit einem feinen Messer schnitt sie Château-d’Oex ins Holz oder Genève. Ich las immer Genefe, aber sie sagte mir, wie es richtig hiess. Sie bürstete auch die fertig gebeizten und polierten Gegenstände der Schnitzler. Im Krieg gab es keine Aufträge mehr, weil keine Gäste mehr kamen. Als nachher die Hotellerie wieder anzog, wusch meine Mutter Hotelwäsche. Mit einer Stange musste sie die tropfnassen schweren Leintücher aus einem riesigen Zuber herausheben. Es war schwere Arbeit.»
«Meine Mutter musste auswärts putzen gehen und daheim zu sechs Kindern schauen. Das Geld war knapp. Sie hatte nie viel Zeit für uns und war nervös, aber trotzdem waren wir nie in einer Krippe sondern immer daheim. Mit meinen vier Brüdern stritt ich oft, aber wir hatten es gut und lachten viel.»
«Als die Eltern krank wurden, schauten wir Geschwister zu ihnen und wechselten einander ab.»
DER VATER
Väter gingen arbeiten und brachten das Geld heim. Um die Erziehung ihrer Kinder haben sie sich weniger gekümmert als die Mütter. Die Arbeitstage waren lang.
«Mein Vater war einer der ersten, der die Schnitzlerschule in Brienz besuchte und ausgebildeter Schnitzler wurde. Er war spezialisiert auf Bären, zum Beispiel solche, die einen Schirmständer hielten oder einen Aschenbecher. Aber er machte auch anderes. Als ich zehn war, hatte er einen Schlaganfall. Er war gelähmt und musste die Arbeit aufgeben. Das war bitter. Unterstützung gab es nicht. Alles hing an der Mutter. Sie ging putzen und waschen. War sie fort, lief ich von der Schule in der Pause heim, um dem Vater beim Anziehen zu helfen. Kam ich dann ein bisschen zu spät zurück, obschon ich gerannt war, schimpfte der Lehrer. Er wusste genau, warum ich fort war.»
«Mein Vater wurde immer gerufen, wenn es irgendwo etwas zu erledigen galt. Er war handwerklich begabt. Auch das Schreiben lag ihm und er erledigte für die Gemeinde schriftliche Arbeiten. Eigentlich war er ein Genie. Zuhause hatten wir Ziegen, ganz früher auch drei Kühe und wir pflanzten fast alles selber an. Wir waren weitgehend Selbstversorger.»
«Ich weiss noch, wie wir am Emden waren. Da läuteten die Glocken. Wütend schmiss mein Vater seine Gabel auf den Boden und rief: Jetzt müenders halt sälber mache, jetz isch Chrieg! Er wurde in den Aktivdienst eingezogen und wir mussten zu unseren Pflanzungen und zu den Ziegen schauen, dafür sorgen, dass sie genug Futter hatten.»
«Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Nach dem Krieg wurde mein Vater Strassenmeister. Das war ein sicherer Posten und sehr begehrt. Die Franzosen der Besatzungsmacht hatten ihm die Arbeit vermittelt, als Anerkennung dafür, dass er kein Nazi war. Daneben hatten wir noch einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb mit zwei Kühen und zwei Schweinen. Ich weiss noch, wie wir Kinder immer davon liefen, wenn der Metzger mit der Pistole kam. Lag dann das Schwein auf einer Leiter über dem Trog und wurde ausgenommen, waren wir wieder da.»
«Mein Vater arbeitete Schicht bei der BKW in Hagneck. Daneben hatte er einen kleinen Bauernbetrieb. Wenn er von seiner anstrengenden Schicht nach Hause kam, ging die Arbeit einfach weiter. Er war ein Chrampfer.»
«Mein Vater war wie mein Grossvater Schmied, arbeitete aber in der Firma Baumaterial in Biel. Am Feierabend war er oft mit Grossvater in der kleinen Schmitte, die er sich daheim in Brügg eingerichtet hatte. Ich liebte es, ihnen zuzusehen, musste aber hinten an der Wand stehen und ganz still sein. Das glühend heisse Eisen, das sie vom Feuer zum Amboss trugen war gefährlich und sie mussten schnell arbeiten, solange es glühte. Das Zischen des heissen Eisens im Wasser und das Schlagen des Hammers, das war Musik für mich! Der Grossvater liess den Hammer zuerst ein bisschen tänzerlen, bis er fest zuschlug, mein Vater schlug von Anfang an ganz fest und gleichmässig. Sie flickten Sachen für die Nachbarschaft und stellten Gartenwerkzeug her. Aber sie verlangten nie etwas dafür. Für alle seine sechs Kinder machte mein Vater einen kunstvollen Kerzenständer, er konnte wunderbar fein arbeiten. Den Kerzenständer habe ich immer noch.»
«Ich half meinem Vater gern im Garten oder bei den Hasen. Wir gingen auch zusammen laufen und beobachteten die Natur. Das war schön. Er sagte manchmal: Das haben wir gut gemacht, wir zwei.»
«Mein Vater nahm mich mit auf grosse Velotouren, von Frauenfeld bis in die Innerschweiz und zurück an einem Tag. Wir schauten uns manchmal Klöster an und er erklärte mir alles anschaulich. Das gefiel mir.»
«Mein Vater brachte von der Arbeit Holz und allerlei Material heim und schimpfte dann, wenn wir Mädchen ihm wieder mal ein Seil zum Seilspringen stibitzt hatten.»
«Mein Vater war Bauer und Fuhrhalter. Mit Ross und Wagen fuhr er in den Jura und holte Holz. Manchmal waren zwei Pferde vorgespannt, manchmal waren es vier. »
«Mein Vater war ursprünglich Käser, arbeitete aber bei der Post. Im Bahnwagen sortierte er Briefe. Manchmal schrieb ich für ihn Zettel mit den Ortsnamen seiner Strecke, die er dann zum Sortieren zwischen die zu befördernden Briefe steckte. Er nahm oft einen behinderten Buben zu sich in den Postwagen, der auf dieser Strecke zur Schule fuhr und von anderen Kindern geplagt wurde. Dieser Bub kam auch zu uns nach Hause. Am Sonntag spielten wir ein Spiel mit einer Schweizerkarte und fragten den Vater nach Ortschaften, von denen wir noch nie gehört hatten. Er kannte jede und wusste genau, wo sie lag. Er wusste ebenso Bescheid über Postautoverbindungen und konnte Auskunft geben, wann ein Brief ankommen würde. Weil er ein so umfassendes Wissen hatte, bekam er im Krieg ab und zu geheime Aufträge, die er mit dem Auto auszuführen hatte. Er sagte manchmal: Die wissen nichts, fragen immer mich, aber den grossen Zahltag haben sie!»