LEBENSBILDER 14

notiert März 2024

NACH DER SCHULZEIT

Sorgfältige Abklärungen, was ein Mädchen oder ein Knabe nach der Schulzeit machen würde, gab es in den Vierziger- und Fünfzigerjahren kaum – daran erinnert sich jedenfalls niemand im Erzählcafé im Fahr am Mittwochmorgen. Das wurde erst später zum Thema.

Mädchen begannen ihr Berufsleben oft als Haushalthilfe, Knaben auf dem Land als Knecht. Anschliessend arbeiteten viele in den Uhren- oder Maschinenfabriken. In Biel und Umgebung blühte die Uhrenindustrie in den Fünfzigerjahren auf. Dort fand sich leicht Arbeit.

Über ihre Erfahrungen im Haushaltlehrjahr meintn zwei Teilnehmerinnen am Erzählcafé:

«Hüttigi Meitschi würde revoluzzge!»

«Es het gheisse, nie nüt mache!»

Das Welschlandjahr

Bis in die Fünfzigerjahre gingen viele junge Mädchen nach der Schule «ins Welsche», weil das so Brauch war. Es galt auf der einen Seite das Schulfranzösisch zu verbessern, auf der anderen Seite aber die vielfältigen Pflichten einer Hausfrau und Mutter zu erlernen. Die meisten «jeunes filles» machten ein Haushaltlehrjahr, welches einen Tag Schule in der Woche vorsah.

Haushalt gab in den Vierziger- und Fünfzigerjahren viel zu tun und erforderte auch ein grosses Wissen. Die Ansprüche an einen sauberen Haushalt waren enorm. Fast alles erforderte Handarbeit. Waschmaschinen kamen erst in den Fünfzigern langsam auf. Zuerst gab es Maschinen, die «Hooverli», welche lediglich die Wäsche bewegten. Warmes Wasser füllte man selber ein. Eine eingebaute Mange erleichterte das Auswringen. Waren Kleinkinder im Haus, warteten Berge von Windeln aufs Waschen. Täglich wurde zweimal gekocht, immer frisch und ohne Fertigprodukte. Die reiche Gartenernte musste fachgerecht konserviert werden, eingekocht, sterilisiert, getrocknet – ohne Tiefkühler. Und alles, Kleider, Herrenhemden, Küchenwäsche, Bettwäsche, Unterwäsche wollte genauestens gebügelt sein mit einem einfachen Bügeleisen. Möbel wurden regelmässig mit Politur behandelt, Messingklinken und Silberzeug mit Sigolin. Steintreppen mit der Reisbürste auf den Knien gefegt. Böden gewischt, gewichst, geblocht. Arbeit ohne Ende.

Pflegeberufe machten ein Haushaltlehrjahr zur Bedingung. Die Mädchen mussten «einen Haushalt führen können.»

Auch Buben schickte man in die Westschweiz. Sie waren willkommen als Knechte in der Landwirtschaft.

Die Eltern bestimmtem, wohin man in die Fremde ging. Sei es durch persönliche Beziehungen oder vom Hörensagen fand man Plätze für Mädchen und Buben. Es gab Dörfer, von denen jedes Jahr ein anderes Mädchen bei der gleichen Familie in der Romandie einzog. Oder ein Mädchen, das schon in fremden Diensten stand, schrieb nach Hause, von einer anderen Familie werde jemand gesucht.

Die Mädchen und Buben bekamen neben Kost und Logis meist einen kleinen Lohn zwischen 30 Franken und 45 Franken.

«Meine zwei Geschwister und ich verloren ganz früh den Vater und als ich zwölf war, starb meine Mutter. Als Waisen wären wir eigentlich Verdingkinder geworden. Ein Onkel nahm uns zum Glück auf, so konnten wir zusammenbleiben. Aber es war hart. Wir mussten auf dem Bauernhof viel arbeiten, die Leute waren streng. Meine Kindheit war mit zwölf vorbei. Bei der Trauer hat niemand geholfen. Es hiess ‘du bisch e tapferi’. Wir mussten allein mit dem grossen Verlust fertig werden. Es war ein Loch in meinem ganzen Leben. Dass wir ins Welsche gingen war selbstverständlich.»

 

In der Fremde

«Als Bub ging ich nach der Schule für zwei Jahre zu einem Viehhändler ins Val de Ruz. Da musste ich vor allem ausmisten. Im Haus hatte ich ein Zimmer für mich, essen konnte ich mit der Familie. Heimweh spürte ich nicht. Im ersten Jahr verdiente ich 35 Franken pro Monat, im zweiten 70 Franken.»

«Ich kam von der Ostschweiz in eine Familie nach Biel. Deren Zwillingstöchter besuchten das Gymnasium. Da die Familie deutsch sprach, nahm ich Kurse in Französisch. Ich hatte es gut dort.»

«Ich habe geputzt und geputzt. Jeden Tag die Türschwellen und die Klinken poliert. Die Leute hatten zwei Buben, die waren frech zu mir. Ich sprach noch fast kein Französisch und konnte mich nicht wehren. Madame hatte ein Lädeli, sie bediente und schwatzte dort den ganzen Tag, ich war hinten im Haus. Ab und zu kam sie kontrollieren. Es hiess ‘nie nüt mache’. Ich war das dritte Mädchen, das aus meinem Dorf dorthin kam.»

«Ich hatte es gut im Welschen. Pierre-Alain und Marie-Louise hiessen die Kinder, die ich betreute.»

«Ich war nicht im Welschland, sondern habe daheim im Emmental auf dem Bauernhof geholfen.»

«Ich wuchs in Crans Montana in einer deutschsprachigen Familie auf und besuchte die französische Schule. Meine Mutter lernte eine reiche Frau aus Winterthur kennen, als sie deren Chalet putzte. Die suchte ein Mädchen für den Haushalt. So kam ich dorthin. Es war eine Grossfamilie, immer waren etwa zehn Personen am Tisch, es gab viel zu putzen und auch der riesige Garten gab unendlich Arbeit. Manchmal wollte mir die Grossmutter helfen, die oben im Haus wohnte. Aber die Frau schickte sie wieder nach oben und sagte, sie solle mir nicht helfen. Ich musste in der Küche essen und bekam, was auf den Platten übrigblieb. Oft hatte ich Hunger.

Manchmal schlich ich mich in der Nacht in die Küche und schnitt mir von verschiedenen Broten ein Stückli ab, damit es nicht auffiel. Die Frau bemerkte es trotzdem und es gab ein Donnerwetter. Ich hatte grosses Heimweh und war unglücklich. Als die Familie nach Montana in ihr Chalet fuhr, musste ich dort weiterarbeiten. Es hatte aber keinen Platz für mich im Haus und ich ging mit dem Velo nach Hause zum Schlafen. Am Ende dieser ‘Ferien’ erzählte ich meinen Eltern und meinem Götti, der grad zu Besuch war, wie es mir ging in dieser vornehmen Familie. Sie beschlossen, dass ich nur noch meine Sachen abholen und nach Hause zurückkehren solle. Aber die Frau wollte mich nicht mehr sehen. Sie schickte mir meine wenigen Sachen – ausser einem Väseli, das ich gern hatte. Anschliessend ging ich für ein Jahr nach Pieterlen. Dort gefiel es mir gut.»

«Ich besuchte zwei Jahre eine katholische Haushaltungsschule. Dort lernten wir wirklich alles, was mit einem Haushalt und einer Familie zu tun hat. Kochen, Putzen, Nähen und Flicken, Waschen, Bügeln, Kinderpflege, Gesundheitspflege, Rechnen, Buchhaltung. Wir lernten sogar, Herrenhemden zu nähen und Krägen zu wenden. Wir nähten Kissen von Hand und verzierten sie mit Hohlsaum und Blumenranken, viel Wert wurde auf perfekte Knopflöcher gelegt. Am Ende gab es eine Prüfung.»

«Ich nähte ein Nachthemd von Hand mit Kehrnaht. Auch einen Unterrock und Schürzen mit langen Bändern zum Überkreuzbinden und bestickten Vorderteilen.»

«In meinem ersten Haushaltlehrjahr direkt nach der Schule hatte ich es gut. Ich arbeitete im Haushalt und im dazugehörigen Stoffgeschäft. Das gefiel mir. Es gab nicht nur Stoff, sondern auch Schürzen, Überschürzen und anderes zum Verkaufen. Ich hatte richtigen Familienanschluss und wurde geschätzt. Zu einem Vorzugspreis konnte ich den Stoff für meine Aussteuer kaufen. Am Ende des Jahres wurde ich konfirmiert. Madame wählte einen Stoff und einen Schnitt aus für mein Konfirmationskleid – selbstverständlich schwarz – und liess es von einer Störschneiderin nähen.»

«Ich erinnere mich an die Abschlussprüfung meines Haushaltlehrjahres. Gestrenge Damen beurteilten unser Können. Es galt, ein Herrenhemd perfekt zu bügeln. Die Hemden hatten früher innen ein Vlies, welches die Brusthaare abdeckte. Der obere Teil war geknöpft, der untere geschlossen. Unter der Brust gab es kleine Falten. Es war eine Kunst, ein solches Hemd perfekt zu bügeln. Ich benetzte den Stoff, wie wir es gelernt hatten und bügelte es fachgerecht. Nur war der Kragen am Ende noch ein bisschen feucht. Er sollte aber trocken sein. Das gab einen halben Punkt Abzug. Ich wurde Zweitbeste und war enttäuscht.»

«Ich war für die Kinder da, in der Küche arbeitete ein anderes Mädchen. Das musste jeweils in der Küche essen. Ich hätte mit der Familie am Tisch sein können, ging dann aber lieber in die Küche, um dem anderen Mädchen Gesellschaft zu leisten. Der Mann war Direktor bei Nestlé und es hatte immer eine ganze Beige Schokolade in einem Schrank. Davon durften wir den Kindern geben. Wenn wir Mädchen allein waren, bedienten wir uns auch ein bisschen.»

«Nach dem Haushaltlehrjahr war ich in einer Familie zum Helfen, anschliessend arbeitete ich im Hotel Schweizerhof auf dem Hasliberg. Ich war als Saaltochter angestellt. Vom Office musste ich die schweren weissen Porzellanteller in den Saal tragen, immer hin und her. Uns Saaltöchtern wurde nahegelegt, ‘nicht schlampig’ gekleidet zu sein und ‘nette’ aber solide Schuhe zu tragen mit nicht rutschigen Sohlen. Wir wuschen auch das Frühstücksgeschirr ab, immer schnell und unter Kontrolle. Als ich schliesslich kündigte, wurde ich für die verbleibende Zeit zum Putzen eingeteilt.

Meine Schwester schrieb aus ihrem Welschlandjahr, in ihrer Familie suche man ein Mädchen für die Familie der Schwiegermutter im gleichen grossen Haus. Sie betrieb dort ein Geschäft mit ‘Alimentation en gros’. Deshalb wurde ich dorthin geschickt. Mit meiner Schwester bewohnte ich ein ungeheiztes Zimmer im Estrich. Im Winter wuchsen Eisblumen an der Türe. Wir zwei lagen zusammen im gleichen Bett, um uns zu wärmen.

Tagwache war um sechs Uhr, um sieben musste ich das Büro geputzt haben. Anschliessend brachte ich Madame das Frühstück ans Bett. Nachher ging es nahtlos weiter mit Putzen, Rüsten, Kochen. Jeden Tag kam ein Grosskind zum Essen. Ich musste in der Küche bleiben, wo ich jede Pfanne sorgfältig auskratzte, damit ich genug zu essen hatte. Wenn die Mahlzeit im Salon fertig war, läutete Madame und ich durfte mit meinem Teller hineingehen und bekam ein Stückli Fleisch.

Am Nachmittag arbeitete ich im Geschäft und packte stundenlang Lebensmittel ab. Zimmerstunde gab es nicht. Einen halben Tag hatte ich frei.

Ich erbrach häufig, weil ich so unter Druck war. Manchmal gab es Bridgeabende, da musste ich im weissen Schürzchen servieren. Einmal backte ich eine Apfelwähe zum Znacht. Beim Herausnehmen aus dem Ofen kippte das Blech und der schöne Kuchen fiel auf den Boden. Was jetzt? Schnell rührte ich einen Guss zusammen, arrangierte die Stücke auf dem Blech wieder zu einem Ganzen, leerte den Guss darüber und schob den Kuchen noch einmal ins Rohr. Wie hat mich Madame für diesen wunderbaren Kuchen gerühmt!

Ein kleiner Trost war, dass meine Schwester und ich am Morgen eine dicke Konfischicht aufs Brot strichen, Konfi gab es büchsenweise im Geschäft, das fiel nicht auf. Ich hatte Heimweh. Acht Monate hielt ich es aus, einfach nur arbeiten und zu wenig zu essen. Nachher suchte ich mir Arbeit in einer Uhrenfabrik. Ich denke, ‘hüttigi Meitschi würde revoluzzge!’»

«Anfangs der Siebzigerjahre machten immer weniger Mädchen ein Haushaltjahr. Ich musste aber während meiner Lehre zum ‘Fünfwöcheler’ antreten. Ich sehe noch das rote Haushaltungsbuch, das wir erhielten. Darin stand alles über einen perfekten Haushalt. Da ich während dieser Zeit für meine Lehre einen Kurs machen musste, der wichtig war und für den Abschluss zählte, fehlte ich ein paar Tage und habe das ‘Hemmligletten’ verpasst!»

 

 

 

Heimweh

«Mein Vater hat mich zu meiner Familie nach Neuenburg begleitet.»

«Zum Vorstellen in der Familie begleitete mich meine Tante. Als es dann losging reiste ich allein. Mit dem Köfferli, da war ja nicht viel drin, dem Bahnbillet und dem genauen Fahrplan in der Tasche.»

«Ich hatte schreckliches Heimweh. Nur schon wenn ich ein sauberes Taschentuch hervornahm, packte es mich. Das hatte meine Mame gebügelt, ich durfte kaum daran denken. Wir hatten es doch so schön zu Hause. Das Heimweh verschwand auch im Verlauf des Jahres nicht. Während meines ganzen Lebens bin ich immer gern daheim geblieben.»

«Meine Mutter war krank, deshalb war ich schon als ganz kleines Mädchen bei verschiedenen Verwandten untergebracht und war es gewohnt, nicht zu Hause zu sein. Deshalb wohl hatte ich kein Heimweh, als ich für ein Jahr in einem Haushalt arbeitete.»

«Während des ganzen Jahres ging ich nie nach Hause.»

«Ich meinen zwei Wochen Ferien und an Weihnachten durfte ich nach Hause reisen.»

«Ich schrieb viele Briefe heim und erzählte von meinen Erlebnissen.»

«Ich durfte meine Briefe nicht einmal selber einwerfen, das machte die Frau für mich. Ich durfte nirgends hingehen. Glücklicherweise hatte ich aber eine Familie in Winterthur kennengelernt, die Weidlinge auf dem Rhein fuhr. Manchmal durfte ich am Sonntag mit ihnen gehen. Das war schön.»

«Schön waren die Treffen der jungen Kirche. Da traf ich andere Mädchen aus der Deutschschweiz und konnte mit ihnen etwas unternehmen oder auch einfach nur schwatzen.»

«Auch in der Schule traf ich andere Mädchen. Das tat mir gut.»

«Der Anfang in der Schule war hart. Ich habe fast nichts verstanden. Aber mit der Zeit lernte ich französisch verstehen und dann auch sprechen.»

 

 

Berufsleben

Berufslehre

«Bub oder Meitli, das war nicht dasselbe. Mein Bruder bekam Ski, wir Mädchen durften nur schlitteln. Wir gingen in Haushalte arbeiten, mein Bruder wollte immer Gärtner werden und konnte das verwirklichen. Mit einem Kollegen wurde er bester Lehrabgänger im Kanton Zürich und bekam vom Lehrmeister drei Goldvreneli geschenkt. Später nahm er ein Medizinstudium in Angriff. Er arbeitete am Tag, trank in der Nacht literweise Kaffee und lernte fürs Studium. Er wurde angesehener Landarzt im Kanton Glarus.»

«Ich habe mein ganzes Leben lang darunter gelitten, dass ich keinen Beruf erlernen konnte. Obschon ich von Herzen gern Mutter war. Auch den Haushalt habe ich gerne gemacht und habe ständig etwas dazu gelernt.»

«Ich machte wie viele Buben nach der Schule eine Lehre. Ich besuchte das KV. Nach der Lehre ging ich nach Genf, um Französisch zu lernen. Ich hatte ein Zimmer bei einer Familie, konnte dort auch frühstücken und ging dann zur Arbeit ins Büro. Am Mittag ass ich in einer Pension. Da ich Arbeit hatte, konnte ich alles selber finanzieren. Mit meinem Schulfranzösisch verständigte ich mich recht gut und lernte im Lauf der Zeit fliessend zu sprechen und alles zu verstehen. Meine Frau wollte Kinderkrankenschwester werden, musste dafür aber 19 Jahre alt sein. Deshalb ging sie nach der Schule nach England, arbeitete als Familienhilfe und lernte Englisch.»

«Nach der Schule machte ich eine vierjährige Lehre als Laborantin an der Universität in Bern. Das hatte ich immer gewollt und es gefiel mir. Ich konnte in verschiedenen Abteilungen jeweils während dreier Monate ganz unterschiedliche Arbeiten kennen lernen und besuchte an einem Tag die Gewerbeschule. Ich spezialisierte mich auf Viren und Bakterien. Nach der Lehre arbeitete ich im Spital Tiefenau, machte Laborarbeiten und kontrollierte Operationssäle auf absolute Sauberkeit. Auch Trinkwasseranalysen gehörten zur Arbeit. Hatte ich Pikettdienst, musste ich je nachdem mitten in der Nacht aufstehen, mit dem Auto von Biel nach Bern ins Labor fahren um eine wichtige Untersuchung zu machen. Später wechselte ich als Laborantin zur Narimpex. Ich untersuchte mit Laboranalysen Trockenfrüchte, Honig und Nüsse auf Schadstoffe, Pestizide oder Schwefel.»

«Nach meiner Zeit als Haushalthilfe lernte ich AKP, allgemeine Krankenpflege. Mit meinen Kindern blieb ich neun Jahre zu Hause, dann stieg ich wieder ein. Zuerst übernahm ich die Zeit zwischen 12 Uhr und 16 Uhr, wenn viele Pflegende Pause hatten. Nach und nach vergrösserte ich mein Pensum. Am Anfang meiner Berufszeit trugen wir gestärkte Hauben und Krägen. Die Hauben waren unangenehm zu tragen und rissen Haare aus. Es war eine Erleichterung, als das abgeschafft wurde.»

«Ich machte eine Bürolehre. In meiner Klasse war ich das einzige Mädchen, welches eine Lehre machte. Mit zwanzig heiratete ich. Ich zog zu meinem Mann und seinen Eltern. Sie hatten ein grosses Geschäft. Bald hatten wir vier Kinder. Mit den Kindern, dem Haushalt und der Mithilfe im Geschäft hatte ich genug zu tun.»

Uhrenfabrik und anderes

«Ich musste nach dem Haushaltjahr für mich selber sorgen. Ich ging nach La-Chaux-de-Fonds. Dort vermittelte mir die Stadtmission Arbeit in einer Uhrenfabrik und ein Zimmer für 35 Franken im Monat. In der Fabrik sass ich an einer Maschine und musste mit dem Brucelle, der spitzen Uhrmacherpinzette, kleine Teile in eine Maschine einlegen. Der Arm der Maschine drückte das Teil anschliessend hinein, immer auf und ab, immer gleich. Ich musste schauen, dass ich schnell genug war und meine Finger zurückzog und dann schon wieder bereit war für das nächste Stück. Das war sehr ermüdend. Manchmal fiel ein Teil daneben, das musste schnell schnell wieder mit der Pinzette gepackt werden. Im Sommer war es heiss, die Maschinen heizten zusätzlich, die Fenster standen ein bisschen offen. Wir jungen Frauen sagten zueinander ‘hesch es Hallowach’ und meinten damit ein Saridon. Dieses Medikament nahmen alle, es half gegen die Müdigkeit und die Kopfschmerzen.

Nach der Heirat machte ich Heimarbeit. Die nötige Maschine wurde bei mir installiert und ein Etabli hineingestellt. Daran sitzt man die ganze Zeit mit hoch erhobenen aufgestützten Armen. Das Tischblatt ist direkt unter dem Kopf. Diese Körperhaltung macht müde. Ich musste kleine Federn einlegen und mit der Maschine hineindrücken. Wenigstens bestimmte ich das Tempo selber. Aber wenig fertige Teile gaben auch wenig Lohn. Ich war auch Hauswartin in unserem Haus. Alles zusammen, der Haushalt praktisch ohne Maschinen, die Kinder, das Hauswarten und die Heimarbeit, das war schon viel Arbeit.»

«In Biel waren im Juli zwei Wochen Uhrmacherferien. Da war die Stadt leer.»

«Nach dem Haushaltjahr machte ich zu Hause eine Lehre als Schuhverkäuferin. Die Schule forderte mich, ich machte oft bis Mitternacht Hausaufgaben. Ich war den Schulbetrieb nicht mehr gewohnt. Nach der Heirat arbeitete ich in einer Uhrenfabrik. Ich steckte im Akkord kleine Teile, die wie Reissnägel aussahen, in Metallplatten und drückte sie hinein. Die Maschine stanzte sie dann von oben hinein. Das lief automatisch. An den Fingern durfte man nicht schwitzen, weil sonst das Metall anlief. Einige benutzen Fingerlinge oder man trocknete die Finger an der Schürze. Die Arbeit machte Kopfschmerzen. Es war laut von den Stanzmaschinen. Um 12 Uhr assen wir draussen etwas Mitgebrachtes, um 13 Uhr ging es weiter. Es war sehr streng.

Auch als die Kinder da waren, suchte ich mir immer Arbeit. Das Einkommen meines Mannes reichte nicht für alles. Ich arbeitete abends am Buffet in einem Restaurant, ich ging putzen und war auch Hauswartin. Später arbeitete ich wieder als Schuhverkäuferin.»

«Am Morgen musste die Maschine zuerst geölt werden. Am Freitag wurde die ganze Maschine mit einem scharfen Putzmittel geputzt. Die Zeit dafür war knapp bemessen. Man musste schnell machen.»

«Es arbeiteten viele Italienerinnen in der Fabrik. Die machten einen richtigen Wettkampf, wer am meisten Stücke pro Stunde schaffte. Die Siegerin hatte den grössten Lohn. Auch von ihnen nahmen viele Saridon.»

«Ich wurde auch Uhrenarbeiterin. Hier in der Region gab es unzählige Uhrenfabriken und man fand leicht Arbeit. Nach einer Einführung beherrschte man die Handgriffe, arbeitete zuerst ohne Akkord und sobald es gut lief, im Akkord. Als ich Kinder bekam, blieb ich zu Hause, übernahm aber Heimarbeit, als sie grösser waren.»

«Ich arbeitete auf unserem Bauernhof und ging auch bei anderen Familien aushelfen. Nach der Heirat blieb ich zu Hause, schaute zu den Kindern und dem Haushalt und half regelmässig den Eltern auf dem Hof.»

«Ich arbeitete als Verkäuferin in Biel. Dafür machte ich keine Lehre, ich half einmal aus und man sah, dass ich geeignet war fürs Verkaufen. Mit den Kindern konnte ich die Arbeitsstunden reduzieren.»

Bahnpost

«Ich arbeitete bei der Bahnpost. Wir Männer standen im Bahnpostwagen, stempelten die Post und sortierten sie ein. Briefe kamen in Fächer, getrennt nach Ortschaften, Pakete auf Tablare. Fuhr der Zug über eine Weiche, mussten wir standfest sein, es wackelte manchmal gehörig. Am Anfang lernten wir den Namen jeder Gemeinde in der Schweiz. Später kamen die Postleitzahlen, da war es einfacher. Es gab auch Ablagefächer angeschrieben mit ’Biel Durchgang’, dahinein kam Post, die via Biel an einen anderen Ort gingen. Ich fuhr die Strecken von Biel nach Chaux-de-Fonds, Sonceboz, Delémont, Pruntrut und Olten. Nachtzüge gab es nach Lausanne und Zürich.»